Sie haben einen ungewöhnlichen Verschleiß bei Ihren Agrarreifen festgestellt bzw. Ihr Traktor verhält sich bei der Arbeit merkwürdig: Er hat zu viel Schlupf, die Hinterachse schiebt zu stark bzw. der Vorderachse fehlt es an Bodenhaftung… In all diesen Fällen ist es sehr gut möglich, dass die Voreilung nicht stimmt.
Die Voreilung ist nämlich viel mehr als nur eine irgendeine mechanische Größe. Alles, was mit Ihren Reifen zu tun hat, kann sich auf die Voreilung auswirken und umgekehrt. Eine schlecht eingestellte Voreilung hat Auswirkungen auf Ihre Arbeitsgeschwindigkeit und kann zu vorzeitigem Reifenverschleiß und im schlimmsten Fall zu einem Getriebeschaden führen .
Um derartige Probleme zu vermeiden, finden Sie nachfolgend Erläuterungen und Regeln, die Ihnen helfen, die Voreilung besser zu verstehen und richtig einzustellen:
1. Die Voreilung: Was ist das?
Bei einem Traktor mit vier ungleich großen Antriebsrädern sind die Hinterräder größer als die Vorderräder. Die Räder drehen sich also unterschiedlich schnell.
Damit die Vorder- und Hinterachse synchron laufen und die Traktion optimal ist, muss sich demnach die Vorderachse etwas schneller drehen als die Hinterachse. Nur so kann sie „ziehen“, wenn sie zugeschaltet ist. Dieser Unterschied in der Drehgeschwindigkeit der beiden Achsen wird in Prozent ausgedrückt und als „Voreilung“ bezeichnet.
Für ein einwandfreies Zusammenspiel diverser mechanischer Komponenten des Traktors wie Motor, Differential und Getriebe ist die Voreilung zu beachten.
Zur Berechnung der Voreilung bei Ihrem Traktor brauchen Sie:
- das Achsverhältnis (diese Information wird Ihnen vom Hersteller des Traktors bereitgestellt, und es wurde so berechnet, dass die Antriebsachsen einwandfrei synchron laufen)
- sowie den Abrollumfang der Vorder- und Hinterreifen in mm.
Wenn Ihnen all diese Informationen vorliegen, müssen Sie nur noch die folgende Formel anwenden:
Was ist eine gute Voreilung?
Das Ergebnis der obigen Formel ist ein Prozentsatz, der so nah wie möglich bei 2,5% liegen sollte, um optimal zu sein.
- Eine Voreilung ab 5% ist außerordentlich hoch. In diesem Fall bremsen die Hinterräder die Vorderräder, die viel zu stark ziehen.
- Eine Voreilung zwischen 0,5 und 5% liegt in einem Normbereich, der derzeit als korrekt gilt, wobei eine optimale Voreilung zwischen 1,5 und 3,5% und eine ideale bei 2,5% liegen sollte.
- Eine Voreilung von 0,5% bzw. unter 0 ist viel zu niedrig. In diesem Fall schieben die Hinterräder im Verhältnis zu den Vorderrädern viel zu stark.
Auswirkungen des Reifenumfangs auf die Voreilung
Die obige Formel zeigt, dass die Berechnung der Voreilung eng mit dem Abrollumfang der Reifen verbunden ist. Dieser kann sich z. B. durch Verschleiß ändern, was Auswirkungen auf die Voreilung hat, so dass mit zunehmendem Verschleiß die Effizienz des Traktors nachlässt und sich ggf. Funktionsanomalien bemerkbar machen.
Eine schlechte Voreilung kann zu mehr Schlupf und damit zu anormalem Verschleiß Ihrer Traktorreifen führen. Achten Sie auf die folgenden Warnsignale:
- stärkerer Verschleiß der Reifen auf der Vorderachse als auf der Hinterachse
- die Hinterachse hat sehr viel Schlupf
- die Lenkung reagiert auf schwerem Boden schwerfällig
- bei zugeschalteter Vorderachse hören Sie ein merkwürdiges Klacken
- beim Bremsen auf der Straße kommt es zu einem lauten Klacken
Wenn Sie das bemerken, sollten Sie Ihre Voreilung so schnell wie möglich mit der obigen Formel überprüfen.
2. Reifen derselben Größe können je nach Marke einen unterschiedlichen Umfang haben
Bei einem Austausch des auf Ihrem Traktor vorhandenen Reifensatzes müssen Sie bei der Auswahl der neuen Reifen ebenfalls auf die Voreilung achten. Auch wenn bei zwei unterschiedlichen Reifenmodellen dieselbe Größe auf der Seite steht, bedeutet das nicht, dass auch der Abrollumfang derselbe ist. Dieser hängt u. a. auch von der Reifenmarke ab.
Zur Erinnerung: Die Reifengröße steht auf der Seite des Reifens. Diese technische Angabe ist durch europäische Normen standardisiert. Allerdings berücksichtigt die Norm nicht alle Reifenparameter.
Der Abrollumfang ist nicht normiert und deswegen variabel
Der Abrollumfang steht nicht auf der Reifenseite. Hierbei handelt es sich um die Strecke, die der Reifen bei einer vollständigen Umdrehung (Rotation) zurücklegt. Diese entspricht der Länge seiner Lauffläche in mm, die bei der Berechnung der Voreilung eine wichtige Rolle spielt.
Der Abrollumfang kann je nach Marke unterschiedlich sein, da die Stollen nicht immer dieselbe Höhe haben. Oft werden die Reifen nur auf der Vorderachse oder nur auf der Hinterachse gewechselt, was zu Problemen führen kann, wenn sich nicht auf beiden Achsen Reifen derselben Marke befinden. Schon ein einfacher Wechsel der Marke kann zu einer Verschlechterung der Voreilung zwischen vorn und hinten führen.
Beeinflussung der Voreilung durch die Reifentechnologie bzw. die Art der Verwendung
Auch wenn Sie dieselbe Größe nehmen, die Reifentechnologie aber unterschiedlich ist, können Sie Probleme bekommen, denn nicht alle Reifen federn gleich ein. So verträgt die Karkasse eines VF-Reifens einen sehr niedrigen Druck von 0,6 bar, wohingegen ein Standard-Agrarreifen bei ca. 1 bar bleiben muss.
Damit entspricht die von der Reifengröße abgeleitete theoretische Voreilung nicht der Größe des Reifenumfangs beim Fahren. Der Hersteller hat zwar einen Toleranzbereich für die Voreilung einkalkuliert, jedoch verändert sich diese mit der Lebensdauer des Reifens je nach Einsatz des Traktors und Abnutzung der Reifen.
Bereits eine Abweichung von 0,5 bis 1 % kann zu Abstimmungsproblemen zwischen der Vorder- und der Hinterachse des Traktors führen.
3. Wie wirkt sich Verschleiß auf die Voreilung aus?
Im Laufe der Zeit kann die Stollenhöhe um mehrere Zentimeter abnehmen. Die Abnutzung der Stollen hat jedoch einen großen Einfluss auf den Abrollumfang, was zur Folge hat, dass sich die Voreilung Ihres Traktors verändert. Wenn Sie mit den alten Hinterreifen weiterfahren und z. B. nur die Vorderreifen austauschen, unterscheidet sich deren Abrollumfang von denen eines Neureifens, den Sie als Ihre theoretischen Berechnungsgrundlage herangezogen hatten.
Die Einstellung der Voreilung kann etwa so bleiben, solange die Vorderreifen synchron mit den Hinterreifen verschleißen. Wenn Sie also nur auf einer Achse die Reifen austauschen, müssen Sie parallel dazu den tatsächlichen Abrollumfang der verbliebenen alten Reifen ermitteln (inkl. Verschleiß).
Die Idee dahinter ist, die Voreilung realistisch einzustellen, um auch nach dem Reifentausch mit einer optimalen Traktion effizient arbeiten zu können.
4. Warum wird die Voreilung von Last und Druck beeinflusst?
Die Marke, die Technologie und der Verschleißgrad des Reifens sind nicht die einzigen Parameter, die sich auf den Umfang des Reifens auswirken können. Der Abrollumfang bzw. die Länge der Lauffläche ändert sich auch in Abhängigkeit von der getragenen Last und dem Reifeninnendruck.
Wenn Sie schwere Lasten transportieren oder mit sehr niedrigem Druck arbeiten, um Ihren Ackerboden zu schonen, ist der Abrollumfang Ihrer Reifen ein anderer als zuvor. Der Reifen wird nämlich am Boden zusammengedrückt, so dass sich der Abstand zwischen der Achsmitte und dem Boden verringert (Radius unter Last).
Dann ist der tatsächliche Abrollumfang des Reifens ein anderer, mit ggf. erheblichen Auswirkungen auf die Voreilung Ihres Traktors.
Diese ist nach wie vor ok, wenn sie in einem Bereich von 0,5 bis 5 % liegt. Wenn sich aus Ihren Einstellungen und Messungen ergibt, dass Sie diese Toleranz einhalten, können Sie davon ausgehen, dass die Vorder- und Hinterachse auch weiterhin synchron laufen.
Der Reifenumfang ist ohne Last ein anderer als mit Last. Ohne Last ist er größer, da die Last bzw. der Druck den Reifen zusammendrücken und damit seinen Umfang verkleinern.
Fazit
Für eine qualitativ einwandfreie Arbeit sollte die Voreilung ca. 2,5% betragen. Bei diesem Prozentsatz sind die Vorder- und Hinterachse gut synchronisiert, so dass alle vier Räder gleichzeitig arbeiten. Mit einer richtig eingestellten Voreilung haben Sie eine optimale Traktion, wenig Schlupf und einen niedrigen Kraftstoffverbrauch.
Wir haben gesehen, dass die Voreilung von vielen Parametern beeinflusst wird (Verschleiß, Druck, Last…). Bei der Montage eines neuen Reifensatzes sollte sie unbedingt ungefähr 2,5% betragen, damit Sie auch bei Veränderungen der o. g. Parameter immer in einem vernünftigen Toleranzbereich bleiben.
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